Das ist ihre Leidenschaft, ihre Berufung und ihr Hobby (Ngf008)

Markt

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich mir das Marktgeschehen in Schweinfurt angeschaut. Ein Artikel dazu findet sich (mit leichter Verspätung) in der heutigen F.A.Z. und natürlich auch im Anhang.

Glückliche Gärtnerin im Familienbetrieb / Mairübchen und Pastinaken bescheren viel Arbeit, aber auch zufriedene Marktkunden

„So, ich gebe Ihnen mal ein Mairübchen, zum Kosten. Das ist ein Mix aus Kohlrabi und Rettich, allerdings etwas bekömmlicher und schärft auch nicht so sehr. In dem hier ist zwar ein Wurm drin, aber das macht nichts: Sind schließlich gute Proteine!“ Ein herzhaftes Lachen tönt über den Schweinfurter Rathausplatz, während die Kostprobe dem dankbaren Kunden gereicht wird. Man merkt sofort: Isolde Tietze, die blonde, zierliche Marktfrau mit der grünen Schürze, ist noch vom alten Schlag. Dabei ist ihr das Alter von 55 Jahren nicht anzumerken. Die 38 Arbeitsjahre an der frischen Luft scheinen ebenso jung gehalten zu haben wie die gesundheitsbewusste Ernährung. Für letztere trägt der Familienbetrieb Tietze generationenübergreifend seit der Vorkriegszeit Sorge.

Das heutige Angebot aus 95 Prozent Eigenanbau ist groß. Allein acht verschiedene Tomatensorten reihen sich in grünen Plastikkisten neben Kohlrabi, Rettich, Bio-Eiern, Frühlingszwiebeln oder Zitronen. Daneben sticht bunter Mangold ins Auge. „Das ist so eine Modegeschichte. Ein Trend, der in den letzten Jahren durch Rezepte aus Magazinen und dem Internet gewachsen ist. Wo man früher eher den Stiel gegessen hat, sind es heute die Blätter. Smoothies sind auch so etwas Neumodisches.“ Das heute angebotene Getränk aus Banane, Erdbeere und Salat scheint nicht einmal die ausgefallenste Variante im Sortiment zu sein.

Doch wer erledigt seine Einkäufe in Zeiten von Discountern noch auf dem Markt? „Unsere Kunden sind Menschen, die es besonders frisch mögen. Viele haben dieses Traditionsbewusstsein noch von den Großeltern mitbekommen. Die kommen zwar selbst nicht mehr, aber deren Kinder und Enkelkinder tun es.“ Und Mütter: „Viele lassen die früher beliebten Gläschen mittlerweile im Regal links liegen und bereiten ihre Babynahrung wieder selbst zu. Die süßen und leicht bekömmlichen Pastinaken eignen sich beispielsweise perfekt dafür.“

Auch Isolde Tietze ist Mutter zweier Kinder. Sohn Sebastian entlädt kurz vor sieben den Traktor und frischt die Stände auf. Der 27-jährige Gärtnermeister hat im Familienbetrieb gelernt und garantiert den Fortbestand des Unternehmens. Das Gärtnern als Traumberuf wurde ihm wie auch schon den Eltern in die Wiege gelegt. Und schenkt man seiner Mutter Glauben, ist das auch Grundvoraussetzung: „In eine solche Arbeit wird man hineingeboren, sonst macht man das eigentlich nicht. Es ist eben auch ein Fulltime-Job, bei dem man immer präsent sein muss. Ich möchte nichts anderes machen. Das ist meine Leidenschaft, meine Berufung und mein Hobby. Und wenn das Herzblut dabei ist, dann macht einem auch mal ein bisschen mehr Arbeit nichts aus.“ Ihre Lebensfreude kommt bei der Kundschaft gut an. Lehrerin Dorothee Seidlmayer ist Stammkundin: „Was mir hier gefällt, ist, dass man sich kennt und mit Namen angesprochen wird.“ Die in rote Fahrradkluft gekleidete 55-Jährige wohnt um die Ecke. „Das empfinde ich ebenso als absoluten Luxus, wie auch die Möglichkeit, hier alles in der Form zu bekommen, wie es mir wichtig ist: Ohne lange Transportwege, frisch und unverpackt.“ Auf die Frage, ob sie denn bei Tietze wirklich alles bekomme, was das Herz begehrt, kichert sie. „Gut, am Anfang als ich noch etwas unbedarft beim Marktkauf war, hab ich schon mal verwundert gefragt, ob es denn keine Zuchini gibt. Da hat man mich aufgeklärt, dass manches Gemüse nur saisonbedingt zur Erntezeit im Sortiment ist. Eigentlich logisch, aber so etwas ist man durch Supermärkte gar nicht mehr gewohnt.“ Seit 20 Jahren hält sie dem Stand die Treue. „Ich komme gern hierher, da eine freundschaftliche Atmosphäre herrscht. Als ich mal krankheitsbedingt nicht selbst einkaufen konnte, hat das eine Freundin für mich erledigt. Meine Tasche, die sie bei sich trug, wurde sofort erkannt und ein Blumenstrauß samt Genesungswünschen mit nach Hause geschickt.“

Es dürfte nicht zuletzt solchen Gesten zu verdanken sein, dass sich die Kundschaft auch heute bei Nieselregen kaufbereit zeigt. „Sonnenschein ist natürlich das A und O. Gutes Wetter bedeutet gutes Geschäft. Nicht nur hier am Verkaufsstand, sondern auch in den Gewächshäusern und auf den Feldern.“ Diese liegen zum Großteil auf eigenem Ackerland, aber auch auf gepachteten Parzellen am Ellertshäuser See bei Stadtlauringen. „Der ergibt in Kombination mit dem fränkischen Boden einen Garanten für guten Ertrag.“ Ein Gut, das sich auch die anderen Händler zunutze machen, zu denen man ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. „Die meisten hier kenne ich schon seit meiner Kindheit. Mit vielen der Bauern sind wir im Jungbauernverein, der von unseren Großeltern gegründet wurde. Zusammen richten wir das Erntedankfest aus oder teilen uns Geräte.“ Auch wenn in Schweinfurt von den ehemals 60 Markthändlern nur eine Handvoll übrig geblieben ist, ist man bei Tietze zuversichtlich: „Der Beruf wird nicht aussterben. Viele pflanzen wieder selbst und holen sich beispielsweise Kräuter bei uns.“


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