Mick Jagger und das Okkutle sind uns schon bei Kenneth Anger und auch kürzlich erst im Zusammenhang mit The Master And Margarita begegnet. Die 67er Platte Their Satanic Majesties Request scheint sich da irgendwie einzureihen. Ist der Titel selbst zwar nur als Pun auf eine Formulierung in britischen Pässen zu verstehen, versprüht die Scheibe dennoch einen Hauch von schwarzer Magie. Mag man sich über diese Aussage streiten können, bleibt das Album dennoch unbestreitbar die kurioseste VÖ im Katalog der Rolling Stones.
.Nie war die Konkurrenz zu den Beatles deutlicher spürbar als auf diesem ersten und letzten Versuch der Stones auf psychedelischen Pfaden zu wandeln. Von etlichen Kritikern als schlechte Kopie von Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band abgetan und von Keith Richards selbst Jahre später als „load of crap“ bezeichnet, kann die Scheibe meiner Meinung nach locker mit einem Klassiker wie The Velvet Underground & Nico oder eben auch Sgt. Pepper mithalten. Die Nähe und Anbiederung zum letzteren Werk lässt sich natürlich nicht von der Hand weisen und geht schon beim Artwork los, das nicht von ungefähr an das ikonische Beatles-Cover erinnert. Schließlich handelt es sich bei beiden Gestaltungen um Arbeiten des britischen Fotografen Michael Cooper. Und auch hinsichtlich des musikalischen Inhalts, ist der Grund schnell ausgemacht warum es die als Rock&Blues-Band berühmt gewordenen Stones aus heiterem Himmel plötzlich nötig hatten auf den eigentlich schon abklingenden Psychedelic-Zug aufzuspringen… Their Satanic Majesties Request allerdings darauf zu reduzieren halte ich für ungerechtfertigt, denn die LP kann/ist soviel mehr…
So ist die Platte zuallererst einmal ein spannendes Zeitdokument aus einem Karriereabschnitt der Band, der sich gelinde gesagt als ‚zerfahren‘ bezeichnen lässt. Die Hälfte der Combo ist während der Entstehungsphase immer mal wieder aufgrund von Drogen-delikten in Haft und interne Spannungen gibt es nicht nur, weil Richards seinem Bandkollegen Brian Jones die Freundin ausgespannt sondern auch weil man sich ein Stück weit auseinandergelebt hat. Auch Stammproduzent Andrew Loog Oldham wirft im Verlauf der achtmonatigen Aufnahmephase genervt das Handtuch, woraufhin die Band selbst die Produktion übernimmt. Und das obwohl sie nur selten und immer seltener das Studio gemeinsam betritt. Diese Zerrissenheit hört man den Aufnahmen auch an, die an allen Ecken und Enden zischen, blubbern, sprudeln und sich immer wieder in ausufernden Jams verlieren.
Das geschieht schon gleich beim eröffnenden Sing This All Together, das eine catchy Mitsing-Hook auf schräge Bläser, Percussion und allerhand Geklimper loslässt ehe es in komplett abstruse Gefilde abdriftet. Der großartige Chorus kehrt dann nicht nur am Ende des Stückes sondern auch am Ende von Seite A im Reprise Sing This All Together (See What Happens) zurück, das die Formel seines Schwestersongs auf die chaotische Spitze treibt und in einem gespenstischen Theremin-Cover von We Wish You A Merry Christmas (ein Überbleibsel der Idee die Scheibe ‚Cosmic Christmas‘ zu taufen…) gipfelt.
Dazwischen kämpfen Harpsichord und Mellotron gegen Saxophon und Flöten zu typischen Stones-Riffs und nervtötendem Glockenspiel im fantastischen Citadel. Und es geht sogar noch kurioser: In Another Land überlässt man zum ersten und letzten mal in der Bandgeschichte Bassist Bill Wyman die Lead-Vocals, der sich ohnehin einen Großteil der Aufnahmen ohne seine Bandkollegen im Studio wiederfindet. Sein Stimmorgan mischt sich dabei nicht nur Tremolo-getränkt unter traumwandlerische Mellotron-Streicher sondern erklingt auch schnarchend am Ende des Tracks, wovon Wyman bis zum tatsächlichen Release nichts gewusst haben soll. Vielmehr hat man seine Schlafgeräusche heimlich getrackt und anschließend ohne seine Zustimmung aufs Master gepackt. 2000 Man rundet die A-Seite ab, bei dem die Stones beinahe wie die Stones klingen würden, wäre da nicht die fiebernde Orgel, die einen daran erinnert, dass die Zeiger hier immernoch auf Psychedelic stehen.
Seite B startet dann mit dem wohl bekanntesten Stück dieser Ära: She’s A Rainbow wartet mit angel trumpets and devil trombones und einem Stringarrangement von Led Zeppelins John Paul Jones auf, das schon beinahe anarchistische Züge trägt. Ein Überhit, den viele als Antwort auf Strawberry Fields Forever interpretieren und der es als einer von lediglich zwei Stücken der Scheibe ins Liveprogramm der Band schaffen sollte. Der andere trägt den Titel 2000 Light Years From Home und wurde von Mick Jagger während seiner Inhaftierung geschrieben, was zumindest der Zeile „It’s so very lonely, you’re a thousand light years from home“ eine weitere Bedeutungsebene verleiht. Fantastische Gitarrenarbeit, unheilvolle Streicherexperimente und Sequencer-Spielereien machen auch dieses Stück zu einem absoluten Highlight:
Bleiben noch das von Kirchenglocken eingeläutete und countryeske The Lantern, welches zarte Psychedelica zu Brass, Mellotron und Orgel kickt, das far oute Rhodes Piano-Gelöt Gomper sowie der Spoken-Word-Happiness-Kitsch von On With The Show und fertig ist der Lack oder in anderen Worten: Meine liebste Rolling Stones-Platte! Und zwar noch vor den kurz darauf folgenden Großtaten Let It Bleed, Sticky Fingers oder Exile On Mainstream.
Abschließend lässt sich wohl sagen, dass Their Satanic Majesties Request ein unfassbar unterschätztes Album ist, dessen schlechte öffentliche Wahrnehmung vermutlich vorwiegend darauf zurückzuführen ist, dass man von den Stones einfach keine Psychedelic-Platte hören wollte/will. Und auch wenn es sich bei manchen Stücken eher um Jams als um Songs im klassischen Sinne handelt, ist mir kein Stones-Album bekannt, das mit einer ähnlichen Atmosphäre daherkommt und derart voll mit Ideen ist. Würde mich jemand nach einer empfehlenswerten Psychedelic-Platte aus den 60ern fragen, ich würde zuerst mit dieser Platte antworten. Sgt. Pepper hin oder her…
Anspieltipps: She’s A Rainbow, 2000 man, Citadel, 2000 Lightyears from Home, The Lantern… alle super
Their Satanic Majesties Request im Stream:
VÖ: 08.12.1967 via Decca Records / London Records
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